Das gute Leben in finsteren Zeiten


Von Gustav Bergmann





Auf die Frage nach meinem aktuellen Befinden antworte ich häufig: „Weiter heiter, mir gehts gut, doch der Welt geht es schlecht.“

Nun hoffe ich nicht, dass dabei ein direkter Zusammenhang besteht. Doch, leider gibt es diesen. Wer zum Beispiel in Deutschland lebt und aufgewachsen ist, hat, ob er will oder nicht, einen schweren ökologischen und auch sozialen Rucksack voll gepackt, den andere tragen müssen. Ganz mitweltgerecht zu leben, kann hier kaum gelingen. Mein Leben hat mich beschenkt. Ich lebe in Frieden, in einem demokratischen Land, habe Bildung genießen dürfen, soziale Anerkennung erworben und bin materiell gesichert. Durfte viele meiner Leidenschaften auch beruflich ausleben können. Umgeben von Freundinnen und Freunden in einer lebensfrohen Stadt mit Zugang zu Jazzclubs, Museen und Cafés. Ja, es ist ein wirklich schönes mit Sozialversicherung dun Reisepass. Doch dazu habe ich das Wenigste selbst beigetragen, ich habe es geschenkt bekommen, durch Zufall. Nun versuche ich dankbar zu sein und möglichst mehr zu geben als zu nehmen.

Doch zwischen der Lebensweise der wenigen Privilegierten und dem unwürdigen Lebensbedingungen in der übrigen Welt bestehen direkte Zusammenhänge. In einem Wohlstandsland wie Deutschland leben fast alle auf Kosten der anderen Menschen auf diesem Planeten. Wir geben Aufträge für Luxusartikel, wir verbrennen fossile Energien, wir brausen in Urlaub, wir shoppen smart, investieren in gewinnträchtige Anlagen. Unsere Lebensweise basiert auf der Ausbeutung anderer Menschen und im Ausmaß abhängig von unserem Verhalten und unseren Entscheidungen. Unser Wohlstand von heute beruht auf einer Jahrhunderte andauernden Ausbeutung und Aneignung der übrigen Welt und hat mittlerweile ein Horrorniveau erreicht. Doch auch in Deutschland sind 40 % der abhängig Beschäftigten von Armut bedroht, während in diesem schönen Land auch die, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, meisten Milliardäre leben. Eigentlich verstoßen viele Praktiken gegen die Würde des Menschen, viele Jobs sind unterbezahlt, erschöpfend, gefährlich und mit psychischem Stress verbunden. Zahlreiche Praktiken verstoßen somit gegen den Artikel 1 unseres Grundgesetztes. Der unzureichende Schutz durch den Sozialstaat soll nach Aussage neokonservativer und libertäre Politiker noch weiter zurückgefahren werden, was einem Klassenkampf von oben ähnelt. Damit werden die zivilisatorischen Errungenschaften geschliffen, die ein Mindestmaß an Gerechtigkeit und Wohlstand für alle sichern sollten. Auch werden Migranten diffamiert und selektiert, Ängste geschürt und das Zusammenleben gefährdet.

Die soziale und ökonomische Ungleichheit kann als Hauptproblem gelten, sie verstärkt die sozialen Ungerechtigkeiten und die ökologische Krisen (Klima, Artenschwund, Verschmutzung, Degradation) und führt direkt weiter zur gesellschaftlichen Instabilität mit Ausbrüchen von Gewalt, Kriegen und den autoritären Versuchungen. Die großen Ungleichheiten haben historisch einmalige Ausmaße angenommen und der fossile Energiehunger gefährdet die Biosphäre und verursacht Kriege und Konflikte.

Dieses Krisendreieck erzeugt ein großes Maß von Ungewissheit, ja, substanzielle Unsicherheit und steigert sich in negativer Hinsicht. Die (Un-)Kultur der Regellosigkeit und unbegrenzten Kapitalakkumulation hat sich zu einer Bedrohung der Lebensgrundlagen für Menschen entwickelt.
Eine Minderheit gefährdet das Leben aller auf unserem Heimatplaneten und sorgt durch die gefrässige Praktik für Gewalt, Kriege und die Stabilisierung von Unrechtsregimen. Wer wirklich Krisen bewältigen will, muss das System der Ausbeutung bändigen. Die Ressourcen der Welt werden für eine Minderheit und häufig großen Blödsinn geopfert.

Die nordamerikanischen Crow, deren Basis insbesondere aufgrund des grausamen Kolonialismus vernichtet wurde, konnten ihre Kultur nur retten, indem sie diese auf eine neue Grundlage stellten. Die Herrscher der Welt heute bekamen ihre Kulturbasis nicht entzogen, sondern entziehen allen auf dem Planeten die Überlebensfähigkeit. Ein Kultur- und Strukturwandel ist deshalb fundamental. Der Widerspruch liegt in der Dialektik der Aufklärung, einem Verstandesgebrauch, der in Unvernunft mündet.

Es wirkt wie legalisierte Dekadenz, grenzenloser Bereicherung, Aufhebung der Gewaltenteilung, ein Zusammenbruch der Zivilisation droht, ausgelöst durch eine extreme Minderheit mit ihrer unendlichen Gier. Geschützt durch eine simple Legitimation, wer am „Markt“ genügend zusammenrafft, hat gewonnen.

Das Ärgerliche dabei ist, seit 50 Jahren kann uns allen klar sein, dass unsere Lebens- und Wirtschaftsweise nicht skalierbar oder exportierter ist. Wir wenigen Begünstigten müssen dringend eine Änderung einleiten, weil wir nun auch unsere eigene Existenz gefährden.

Wollen wir wirklich durch die Aufrechterhaltung des Systems alles aufs Spiel setzen?
Alles beginnt mit Freiheitsversprechen und endet für die meisten im Zwang, Menschen werden gezwungen zu arbeiten, was sie nicht wollen und letztlich auch zu konsumieren, was sie nie brauchten.

Fast jedes Gespräch über den Überkonsum, die Exzesse der Finanzmärkte endet in der Subjektivierung oder in vollkommen folgenlosen Forderungen an die Politik. Deshalb hier der Warnhinweis. Es geht hier eben nicht um die Rückwendung auf das Individuum als Straftäter, sondern um die Spielräume Einzelner, aus dem erdrückenden System sich sukzessive zu entwinden.
es geht um die Entdeckung der Selbstwirksamkeit im falschen zum richtigen Leben vorzudringen.

Alle die über ein hohes Maß an sozialem, kulturellem und ökonomischem Kapital verfügen, können das zur weiteren Steigerung für sich selbst einsetzen, sich mit Menschen zusammentun, ihren Ertragswert noch zu erhöhen. Sie können aber auch den Weg zum guten Leben einschlagen und sich für eine gerechtes Miteinander einsetzen und oder die Mitwelt mit ihren Leidenschaften bereichern. Mit den individuellen Freiheiten und Möglichkeiten wächst auch die Verantwortung und zugleich die Chance auf Beiträge, die über einen selbst hinausweisen. Deshalb richtet sich ein Appell der Verantwortung und Veränderung auch nur an diejenigen, die vom gegenwärtigen System profitieren und die ihr „Kapital“ in diverser Form durch Glück, durch Erbe, durch sonstige Zufälle, Ausnutzung von Gelegenheiten und zahlreiche Beiträge anderer erreicht haben, weniger durch eigenes Zutun.

Wer in diesen Zeiten heiter ist, kann doch kaum die Nachrichten verfolgen? Paradoxerweise zerrt die Verdrängung und Abspaltung der Krisen nur noch mehr an uns. Auch bei den Privilegierten macht sich Unbehagen breit. Wer viel hat, dem wird bisher gegeben, doch vielleicht hat er fortan auch viel zu verlieren. Mit der Achtsamkeit für die Mitwelt wird der Mensch zwar nicht unbedingt glücklich, aber er verbindet sich mit der Welt, es entsteht Bedeutung und Sinn. Wie kann der Mensch also heiter leben, obwohl zahlreiche negative Krisennachrichten in die Sinne dringen, obwohl wir mehr oder minder ein schlechtes Gewissen haben, besorgt sind oder unsere Existenz gefährdet ist?

Die Konfrontation, die Anerkennung und die Aufmerksamkeit für das Leid und die Probleme anderer, die aktive Anerkenntnis des Elends und der Zusammenhänge, die bewusste Wahrnehmung der wissenschaftlich erforschten Zusammenhänge ermöglicht eine intensive Verbindung zur Welt, schreibt Kieran Setiye. Das gute Leben besteht genau hierin, im Mitleiden, im Mitgefühl, das einen mit der Welt verbindet. Dann geht es darum, mit Verstand dem Herzen zu folgen und sich auch der Verleugnung und Verdrängung zu entziehen, die jegliche Entwicklung hemmt bis verhindert. Die Subalternen empfinden diese bitteren Verhältnisse sowieso, die Bessergestellten scheuen jede Veränderung, die dennoch droht.

Im Roman „La Peste“ lässt Albert Camus den Arzt Bernard Rieux, der in der von der heimgesuchten Stadt einen einsamen Kampf gegen die Seuche führt, sagen: »Ich glaube, ich habe keinen Sinn für Heldentum und Heiligkeit. Was mich interessiert, ist, ein Mensch zu sein.«

Es gesellt sich ein Pariser Journalist mit dem Namen Raymond Rambert, zum Arzt Rieux und fragt ihn, ob er irgendwie, aus dieser Stadt Oran, in die er nur zufällig geraten ist, zu seiner Freundin jenseits des Meeres zurückkehren darf. Rieux sagt ihm in Hinblick auf seine bevorstehende Flucht aus der Stadt, man brauche sich nicht zu schämen, wenn man das Glück vorziehe. Worauf ihm Rambert antwortet: „Ja aber man kann sich schämen, alleine glücklich zu sein.“ Rambert bleibt und wird zum Helfer im Kampf gegen das Unbesiegbare. Sein wahrer Sieg aber ist der Gemeinsinn mit den Menschen, die gleichzeitig und am selben Ort mit ihm leben und leiden.

Viele Menschen können sich den Zumutungen und den Krisen nicht entziehen, doch die Privilegierten versuchen es dennoch. Es wird nach allen monetären Möglichkeiten entscheiden, es wird munter über Flüchtlingsströme an die Strände geflogen, es wird konsumiert und ausgeblendet, es wird insbesondere gewinnträchtig investiert. Die Ignoranz ist besonders bei denen ausgeprägt, die über sehr viel Kapital verfügen und anderen mit ihrer grenzenlosen Freiheit das Leben sehr eng und arg machen können. Die Kritik richtet sich aber immer an die Menschen, die Entscheidungsspielräume haben. Dabei kann ein merkwürdiger Zusammenhang hergestellt werden. Der Fleischesser, der die Herkunft und Herstellungsbedingungen der Produkte meist im Nebel liegen lässt, erhöht die Wahrscheinlichkeit seine eigene Gesundheit zu gefährden und belastet die Mitwelt in ökologischer und sozialer Hinsicht. Schon hier sei ein Hinweise auf die mögliche Wende gegeben. Moralische Appelle bewirken häufig sogar eine Verstärkung des Beharrens. Es wird noch mehr gegrillt, gebraten und verschlungen, also gegen sich selbst und eben die Mitwelt agiert. Innovative Ersatzprodukte können dabei allerdings das Verhalten schnell verändern, wenn sie auch noch günstiger und gesünder sind. Auch bei den Wärmepumpen und Pv Anlagen gab es schon eine erste Reaktanzwelle. Hier schwindet der Widerstand gegen Neuerungen sehr schnell, wenn die Vorteile auch persönlich spürbar werden. Deshalb werden nach einer kurzen aversiven Kulturrevolution jetzt doch die Wärme- und Energiewende und die Abkehr vom Fossilen praktiziert. Auch der Statuskonsument kann sich durch noch mehr Käufe und Aneignung nur noch mehr von allen Mitmenschen distanzieren, und der Superreiche dünnt seine Freundschaften sowieso aus, da aus Staunen und Neid keine Zuneigung wird. Die Aneignung und Ausbeutung lassen den Menschen vereinsamen und sie handeln sich damit die Höchststrafe ein. Der Überlegene und Vermögende verliert den Zugang und die Verbindung zur Welt und damit das Kostbarste überhaupt. Der Kapitalist braucht ja nicht zu arbeiten und lässt alles von dienstbaren Menschen bewältigen. Wer aber von seinen Leidenschaften sich entfernt und sich in egoistischer Kleingesinntheit lebt, verpasst auch die Chancen auf ein Leben im Flow. Es ist eines, dass sich Herausforderungen stellt und Freude und Lust bei der Bewältigung erfährt. Die Angst schindet mit den wachsenden Fähigkeiten. Hierzu muss der Mensch aber in Kontakt zu seiner Natur, seiner Herkunft und seinen Sehnsüchten kommen. Wenn aber nichts mehr selbst gemacht wird, schwinden auch die basalen Fähigkeiten und beim ersten Stromausfall oder Streik liegen die Kapitalisten wie Käfer auf dem Rücken.

Ausblendung, Verdrängung, Ignoranz und Arroganz führen nicht zu einem guten Leben, sondern leiten in zunehmende Unsicherheit und Angst. Es mag ein „glückliches“ Leben daraus teilweise resultieren, jedoch kaum ein gutes. Manche scheinen es auch so zu empfinden. Auf meinen Bahnreisen lausche ich gerne auf die Verwüstungsberichte der Privilegierten. Besonders am Fernbahnhof Frankfurt/ Flughafen steigen mitteilsame Menschen ein, die von ihren misslungenen Urlauben berichten, aber auch von geglückten Eskapaden, die von extremer Selbstbezogenheit künden. Es wird beklagt, den Anschlussflug (sic!) nach Nürnberg verpasst zu haben und jetzt mit der blöden Bahn fahren zu müssen. Es wird von erwartbaren Enttäuschungen berichtet, von der Hitze, dem Wassermangel, dem flauen Gemüse. Vieles wirkt schamlos, obszön und ignorant. Es wird viel genörgelt, gemeckert und beklagt, weil die Ansprüche idiotisch übersteigert sind. Der neofeudale Hofstaat lebt besser als alle Könige zuvor und ist dennoch unzufrieden. Es ist dann das Unbehagen in der Kultur zu beobachten, es ist der Verlust der Beziehung zur Welt, es ist das unmittelbare Spüren der Leere. Der direkte Weg zur Glückseligkeit führt über die Brücke der Tugend und einem Wirken für etwas. Wenn wir die eigenen Erkenntnisse über die sozialen und ökologischen Zusammenhänge mit dem eigenen Verhalten synchronisieren, wirkt das unmittelbar positiv auf die Seele.

In der kapitalistischen Gesellschaft werden immer neue Begehrensklassen erzeugt, exquisite Phantasien und vollends irre Begierden erzeugt. Wenn es Wachstumspausen gibt, wird sofort von Konsumschwäche lamentiert. Es ist schon problematisch, dass die einzige Lösung in der Steigerung von noch mehr Produktion und Konsumtion, von noch mehr Spitzfindigkeiten, Ereignissen und Undingen liegt, die die ökologische und soziale Lage weiter verschlimmern. Es werden in der kapitalistischen Ökonomie eben nicht Bedürfnisse befriedigt und sinnvolle Dinge erzeugt, sondern immer neue Begierden stimuliert, zu weiteren Käufen animiert, welche dann neue Gewinnmöglichkeiten für die Vermögenden ergeben.

Wie kommen wir wieder in eine zukunftsfähige Entwicklung?
Die Quellen der Entwicklung liegen in der Vergangenheit, der ehrlichen Erinnerung und dem Erkennen der Ursachen. Die zweite Quelle liegt in der klaren Diagnose der Gegenwart, der Achtsamkeit im Hier und Jetzt. Die dritte ist die kreative Gestaltung der Zukunft. Anders ausgedrückt, geht es um eine Balance zwischen Geschichtsbewusstsein, der offenen Gegenwärtigkeit und dem zuversichtlichen Erkennen der Möglichkeiten.

(1) Wenn wir in diesen harten Zeiten bestehen wollen, hilft es kaum, zu verdrängen, sich nur um sein eigenes Wohl zu kümmern. Vielmehr brauchen wir eine klares Bewusstsein für historische Zusammenhänge und eine ehrliche Erinnerungskultur. Denn Keine(r) hat nichts gewusst. Und zwar immer. Für Privilegierte dieser Weltgesellschaft seien die oft leistungslose, zufällige oder skrupellose Aneignung, die Akkumulation des Kapitals und die Ausbeutung von Natur und Mensch genannt, auf denen der (Super-) Reichtum der Wenigen immer beruht. Für den großen Rest bleiben Versprechen auf Aufstieg und Erfolg. Doch die auf materiellen Wohlstand geformte Zustimmung zur Wettbewerbs- und Leistungsgesellschaft droht zu kollabieren. Die erbarmungslose Meritokratie wirkt wie sie ist, sehr ungerecht, starr und enttäuschend. Nicht nur der amerikanische Traum ist dem schlechten Schlaf gewichen. Es werden finstere Gefühle wie Neid, Missgunst, Hass, und Gier evoziert und bittere Ressentiments entwickelt. Darunter liegt die Angst, die zur großen Traurigkeit nach innen oder der Wut nach außen wirkt. Kurz gesagt, die Verdrängung der historischen Zusammenhänge bezüglich Antisemitismus, ökologischer Krise, Kolonialismus, hemmt unsere eigene Entwicklung, da alle Energie für Verdrängung gebraucht wird. Interessant dabei ist, dass gerade die Kapitalkonzentration uns in der Vergangenheit festtackert. Vermögende scheuen naheliegender Weise jede Veränderung und auch jede Diskussion über die Herkunft ihres Reichtums. Eine Entwicklung heraus aus den gewohnten Spurungen, das Verlassen der Schicksalhaftigkeit bedarf der ehrlichen Erinnerung und dem Eingestehen der Herkunft.

(2) Die Gegenwart besteht ja eigentlich in einem kurzen Nun, einem Moment des Übergangs vom Noch- nicht zum Nicht- mehr. Dennoch erleben wir Gegenwart als eine Episode, die noch klar gegenwärtig ist, eine Zeit der unmittelbaren Zusammenhänge unseres Erlebens. Das Hier und Jetzt bietet die Möglichkeit einer großen Achtsamkeit für die Möglichkeiten und einem zuversichtlichen Handeln in der Mitwelt. Die volle Aufmerksamkeit für die Weltverhältnisse, für das Leid und die Krisen kann eine vertiefte Selbstwirksamkeit erzeugen. Es gibt zahllose Ansatzpunkte, sich der Problemlösung zu widmen, in sozialen und ökologischen Projekten, in der finanziellen und immateriellen Unterstützung, im politischen Engagement für die Demokratie. „[Die Revolte] ist ein Gemeinplatz, die den ersten Wert auf allen Menschen gründet: Ich empöre mich, also sind wir“ (Camus, 1951:21), hat Albert Camus gesagt. In dem wir uns für das Gute einsetzen, finden wir die Solidarität und Verbundenheit. Wofür also engagieren? Es ist das Engagement, für Andere, die Aufmerksamkeit für andere, etwas, das über meine unmittelbaren Interessen hinausweist. Was das Gute ist, wissen wir aus dem Prozess der Zivilisation. Es besteht in der gegenseitigen Zähmung, der Regelung des Miteinanders, der Absicherung der Würde jedes einzelnen Menschen, der mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet ist. Die Revolte für das gute Leben hat über viele Kämpfe, Proteste, Widerstände vermehrte Rechte und Chancen ermöglicht, die Welt in kleinen Schritten zu einem besseren Ort gemacht, nicht überall, nicht genug, aber zum Beispiel so wie in Deutschland oder Skandinavien erträumen sich alle anderen ihre gesellschaftliche Situation.

(3) Das dritte Element einer zuversichtlichen Haltung und Perspektive besteht in der Entwicklung positiver Zukünfte. Es geht um die Eröffnung von Möglichkeitsräumen und Eutopien. Das Leben ist nicht festgelegt, sondern gestaltbar. Wir können uns mit dem Projekt einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft verbinden.

Es kann auch anders oder sogar besser werden, genauso wie nichts auf Dauer schlimmer wird. Manchmal dauert es leidvoll lange, bis eine Besserung eintritt. Doch auch Diktaturen enden, Gewaltherrscher sterben oder müssen abtreten. Die menschliche Geschichte verläuft in Schlaufen, paradox, überraschend und dialektisch. Vieles erscheint absurd. Doch wir wissen alle wie es besser gehen könnte, die Lösungen liegen längst im Regal, auf dem Tisch, wo immer, zum Einbau bereit. Es liegt nur häufig an den widrigen Machtverhältnissen, den eklatanten Ungleichheiten, dass diese Möglichkeiten der verbessernden Entwicklung nicht genutzt werden (können).

Eine Orientierung am Projekt der Zivilisation könnte helfen. Zivilisation als eine Form von Regeln, Institutionen und Rechten, die allen Menschen ein gedeihliches Miteinander und eine Entfaltung der Persönlichkeit ermöglichen.

Menschen verhalten sich stark kontextbezogen, das heißt, wir versuchen uns im Gewebe des Sozialen Anerkennung zu verschaffen, akzeptiert zu werden und unser Überleben zu sichern. In der Regel mögen wir es, fair, gerecht und hilfsbereit zu sein. Nur unter sehr widrigen Bedingungen und wenn es an Unterstützung mangelt, dann wendet sich das Blatt. Menschen lernen durch Imitation von anderen und zwar von Anfang an, sie kooperieren, weil sie gar nicht anders überleben würden und sie suchen eben nach Anerkennung. Wenn aber aus der Distanz ausgebeutet werden kann, wenn Regeln nicht für alle gelten, wenn Menschen unwürdig behandelt werden, dann kann der Zusammenhalt auseinander brechen. Es kommt zum Bruch der Zivilisation.

Entgrenzung und Chaos
Wundert sich jemand über das Chaos und die Krisen, nach Jahren der Entgrenzung, der Deregulation, der Enthemmung, der Auflösung der Institutionen? Die Regellosigkeit in einer zügellosen Ökonomie evoziert die finsteren Eigenschaften der Menschen. Der Rechtsstaat, der Sozialstaat, die Menschenrechte, die Arbeitnehmerechte, die ökologischen Auflagen sind alles Errungenschaften der Menschheit, die hart erkämpft wurden. Sie alle garantieren ein menschliches Maß, das uns allen hilft, in der Mitwelt zu koexistieren. Nun werden die Regeln und Institutionen weiter geschliffen, um noch intensiver auszubeuten und anzueignen? Die „Entfesselung der Märkte“ ist ein Neusprech für die noch intensivere Ausbeutung. Die Ungleichheit führt zur Herrschaft der Vermögenden auf Kosten der meisten Menschen. Die fossilen Nostalgiker und autoritären Reaktionäre werden sicher scheitern aber leider viele Menschen mit ins Elend reißen.

Doch die bio-physikalischen Grenzen und das Engagement für die Menschen werden uns helfen, die Wenden einzuleiten. Was tun? Weitermachen, solidarisieren, engagieren für eine Mitweltgesellschaft. Wir brauchen eine soziale Architektur der Vernunft, eine Stärkung der Demokratie, ein Ende des Fossilen und klare Regeln für den Wandel zu einem mitweltgerechten System.

Es wird Freude bereiten, Teil dieses Wandels zu sein. Es bedarf für die Wende zur Nachhaltigkeit und gemeinsamen Resilienz, zum sozialen Ausgleich nicht nur der ethischen Orientierung und der Wertorientiernug, viel wirksamer sind ja gerade in der Ökonomie die Preise. Wenn sich regenerative Energieformen als deutlich kostengünstiger herausstellen, dann wird auch umgestellt trotz anderer ideologischer Einstellungen. Wenn die monokulturelle Landwirtschaft in Degradation und Wassermangel führt, dann muss um gestellt werden, weil der Aufwand an Dünger und Wasseraufbereitung schlicht zu hoch wird. Es bieten sich also zahlreiche Möglichkeiten für zukunftsfähige Engagements.
Die diversen sozialen und ökologischen Proteste, die Klagen gegen zerstörerisches und ausbeuterische Praktiken, die Verweigerung, die erkämpfen Rechte und weitere Möglichkeiten der Unterlegenen ermöglichen die Veränderung der Preisrelationen und führen dann im Ökonomiesystem immer zu Veränderungen. Selbst die Sklaverei wurde nicht aufgrund moralischer Bedenken abgeschafft, sondern weil die „Übernutzung“ zu einem nicht mehr lohnenden Geschäft wurde. Auch haben die Sklavenhändler kein Personal auf den Schiffen gefunden, da die „Arbeitsbedingungen“ zu schlecht und die Risiken zu groß waren.
Es ist also ein wirksamer Ansatz, die Ausbeutung schwieriger und „teurer“ zu machen, durch Proteste, Klagen, Verweigerung, den Aufbau von Alternativen.
Es ist also besonders wichtig, für die Rechte von Minderheiten, die demokratischen Institutionen, jede Form von Mitmenschlichkeit, den Schutz der Natur, gegen die Verschwendung, Vergiftung und die Degradation vorzugehen. Jedes kleine Projekt, Engagement und Vorhaben bildet wichtige, weitere Mosaiksteine. Es ist möglich, sein Können und seine Fähigkeiten nicht zur Mehrung der Vorteile und für die Selbstverwirklichung zu verwenden, sondern sich einer wichtigen Aufgabe zu widmen. Diese Lösungsbereiche werden häufig unterschätzt, wurden bisher zu wenig innovativ weiterentwickelt und ihre Wirksamkeit wird unterschätzt.

Doch Vorsicht, selbst beim Engagement. Wir sind kapitalistisch durchwirkt, suchen selbst den kleinen Vorteil, reden uns damit heraus, dass alles nichts bringt, der eigene Beitrag so gering ist, eben alles strukturell bedingt ist, das System ist schuld. Das komplizierte dabei ist, es stimmt, die deregulierte kapitalistische Gesellschaft wirkt toxisch auf das menschliche Zusammenleben und bedroht die Biosphäre. Doch menschliches Handeln unter acht Milliarden ist immer scheinbar wirkungslos, es ist aber die individuelle Entscheidung, die mein Leben bestimmt, ja, es erscheint feinstofflich, homöopathisch und ist doch die Veränderung, die wir bewirken können. Nicht mitmachen, pausieren, verweigern, protestieren, entziehen und radikal zuversichtlich handeln. Es bedarf häufig nur eines deutlichen Vorangehen einer überzeugten Minderheit, damit dann der Mainstream folgt. Diese sozialen Kipppunkte existieren.

Kapitalismus ein Gesellschaftssystem das in unsere Sinne vordringt.
Es begann mit Thatcher und Reagan, nein früher mit der Mont Pélerin Gesellschaft in Vevey am Genfer See. Es wurde die Ideologie der Bienenfabel als Gesellschaftsmodell verwendet und hegemoniale Methoden bei den Linken abgeschaut. Es war ein übertriebener Individualismus, die Autonomie und Freiheit des Subjekts, das die soziale Freiheit, die Gleichheit und Solidarität untergrub.
Es war der Auftakt zur Umkehrung der zivilisatorischen Entwicklung, hin zu Kettensägen-Populismus, weg vom Sozialstaat, weg von der Demokratie, weg von Gerechtigkeit und Gleichheit. Es war die Markt- und Freiheitsideologie, damit das Vorrecht der Besitzenden, zum autoritären Libertanismus, hinweg mit allen Institutionen, Regeln und dem Staat. Eine Gesellschaft existiert erst gar nicht, sondern nur Individuen und ihre Familien. Es ist dann auch ein Einstieg in das Clan-und Dynastiedenken und einen wilden Neofeudalismus mit zersetzenden Tendenzen für die Gesellschaft. Mittlerweile sind wir durch die Privatisierung der Lebenswelt und die Finanzialisierung in einem System der organisierten Kleptokratie angekommen, das auch des exzessiven Extravismus bedarf, also der Ausbeutung der Erde für die Zwecke der Herrschenden. Die rohstoffreichen Länder der Erde leiden seit dem Kolonianismus (z.B. Kongo, Angola, Venezuela) oder wurde später entkernt durch die Aneignung des Nationalvermögens durch die Vermögenden und Oligarchen (z.B. Chile, Argentinien, Russland etc.)

Das Interessante dabei, dass große Teile der Linken dafür zu gewinnen waren. Viele mündeten ein in das Narrativ, das von Neoliberalen vorgezeichnet war. Der Wohlfahrtsstaat erzeugt Faulheit und ist nicht finanzierbar, die Bürokratie stört nur, es braucht eine marktkonforme Demokratie, Leistung muss sich wieder lohnen, die Arbeitslosen sind hauptsächlich arbeitsscheu, Migranten wandern ein in die Sozialsysteme.

Andere wiederum favorisierten die Anarchie, die Nicht- Herrschaft und verwandelten sich in ihrer Naivität zu Libertinären, die alle hart erkämpften Sperren gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit gleich mit pulverisierten. Bürgerliche tauchten ein in den Wettkampf der Schlaueren, Schnelleren, Schlankeren und glaubten an ihre überragenden Fähigkeiten. Meine Kinder kommen auf die beste Schule, mein Vermögen habe ich mir hart erarbeitet, mein Erbe hat die Familie erschaffen.
Und fortan galt das Recht des Stärkeren, besonders beschleunigt durch den Fall der Mauer und die Implosion der sogenannten kommunistischen Länder. Die Folge ist die Erosion der Zivilisation.
Die entgrenzte kapitalistische Gesellschaft bläst alles hinfort. In ihr wird der Konkurrenzkampf forciert, das Vergleichen zum Prinzip, die Sicherheiten schwinden und die meisten Menschen fühlen sich überfordert, weil jedes Recht, jede Orientierung, jeder Halt fehlt. Die kapitalistische Gesellschaft wirkt dann autoritär, klassistisch, misogyn, rassistisch, ausbeuterisch herzlos, kalt, manipulativ, weil in der Regellosigkeit sich die Gewalt ausbreitet. Die kapitalistische Gesellschaft frisst sich selbst (Nancy Fraser). Jeder Mensch muss seine Rechte dann jeweils erkämpfen, nichts ist sicher und alles kommt ins Rutschen. Es wird schwer in der entgrenzten Gesellschaft seinen Wertekanon zu halten. Die Deregulierung wirkt wie eine moralische Generalerlaubnis für Egoismus, Gier, Habsucht und Niedertracht. Das Skrupellose, die Gewalt haben Freifahrtschein. Die enttäuschten Hoffnungen auf Erfolg und Aufstieg münden in finsterer Bitterkeit. Es wird versucht, mit Konsum Trostpflaster zu erwerben, andere lassen sich gern von Falschnachrichten betäuben, die ihr krudes Weltbild stützen.

Es gilt also, sich immer zu fragen: wieviel Kapitalismus ist schon in uns? Wo sind wir selbst neoliberal? Eigene Vorteile sehen, Kinder in gute Schulen schicken, imperiale Lebensweise praktizieren, Teile der Welt für sich beanspruchen, „Sklaven“ halten, Steuervermeidung betreiben etc..
Die konservative Revolution ist eine reaktionäre. Sie führt Freiheit im Schilde, aber in Wirklichkeit die Freiheit der Wenigen, die Oligarchie und die Abhängigkeit und den Zwang für fast alle anderen.
Das Gierige, das Böse wird zum Prinzip. Es wendet sich automatisch zum Guten hatte angeblich Adam Smith behauptet. Doch wird seine Theorie nur halb rezipiert. Sein bedeutendstes Werk geht über Werte, Haftung und Verantwortung und die sollten die individuelle Freiheit einschränken. Doch in der modernen kapitalistischen Ökonomie, verpflichtet Eigentum zu kaum etwas und gerade die Superreichen dominieren die Gesellschaft und die demokratischen Gremien.

Wenn nur die Reichen reicher werden, so die neoliberale Theorie, dann fallen Brosamen genug vom Tisch. Es trickled down, es tröpfelt ein wenig hernieder auf die breite Masse, die dadurch besänftigt werden soll. Wir müssen die Milliardäre nur bewegen, zu investieren, heißt es, dann gibt es Arbeitsplätze und Biedermeierleben für alle. In Wirklichkeit halten die Vermögenden ihr Kapital zurück, wenn es um wichtige Innovationen für alle geht. Sie investieren in pubertäre Wahnideen, korrumpieren und manipulieren. Wie konnte die Weltgesellschaft nur so weit kommen, Gangstern und autoritären Wirrköpfen einzigartige Machtbefugnisse zu gewähren, nur weil diese mit Skrupellosigkeit und List an gewaltige Verfügungsrechte gelangten? Die neuerlichen Forderungen mit Kettensägen die Institutionen zu beseitigen, den Rechtsstatt zu schleifen und Sozialgesetze abzubauen gefährden die Stabilität der Gesellschaften. Schon 1944 hatte Karl Polanyi vor der Drift in den Faschismus gewarnt, wenn in einer Marktgesellschaft nur noch die wirtschaftliche Macht zählt und die Demokratie ausgehöhlt wird. Alles wird dem Primat der Kapitalakkumulation, der endlosen Konkurrenz untergeordnet und endet im großen Hauen und Stechen, dem Ökozid und der Verwüstung.

Die aufwendige Form der Wohlstandsmühle, bei Erfindung immer neuer Konsumwünsche, immer neuen Begehrens kann als einziges funktionierendes Umerziehungssystem gelten. Wie aus Zauberei werden neue Tauschwerte erzeugt, die letztlich nur die Lebensgrundlagen zerstören und uns in einen grotesken Statuskonsum treiben. So fahren wir zu dicke Autos, langweilen uns vor riesigen Bildschirmen, futtern dazu Dubai Schokolade und trinken Chemiesäfte zum horrenden Preis.
Es müssen dafür immer wieder billige Energien und Ressourcen verfügbar gemacht werden, die Oligarchien fördern und damit letztlich Kriege auslösen. Wo und wie können wir aus diesem Karussell aussteigen? Wie kann der Mensch den Wandel mit bewirken? Es reicht nicht, nur dagegen zu sein und die Herrschaftssysteme zu kritisieren. Wir müssen wohl oder übel, das Schiff auf hoher See umbauen, wir können nicht in einen Hafen einlaufen, das Gesellschaftsschiff umbauen und dann wieder in See stechen. Wir können aber nicht nur eine elegante Analyse der drohenden Havarie vorlegen und dennoch keine Änderung einleiten. In Wirklichkeit sind wir mit einer Art Kreuzfahrtschiff auf Untergangskurs unterwegs. Die arbeitenden Menschen werden mit zwei- drei Euro pro Stunde entlohnt oder noch weniger. Einige im Motorraum dürfen nicht an Deck, die Passagiere werden zu Ausgaben animiert und nur die Eigner verdienen wirklich. Nun kommen aber zunehmend Stürme auf und die Energie wird knapp. Was passiert aber, wenn sich die Mehrheit der Ausgebeuteten solidarisiert und nicht mehr mitspielt?

Erkenntnis und Liebe oder Verdrängung und Unbehagen?
Es kommt darauf an, wie jeder Mensch in dieser Zeit agiert hat. Hat man sich davongemacht, nur überlebt oder nicht einmal das? Es kommt besonders auf diejenigen an, die Handlungsspielräume haben, die sowieso vom Leben verwöhnt wurden, weitgehend ohne eigenes Zutun soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital zur Verfügung haben (wie der Autor selbst). Unsere Existenz ist auf Voraussetzungen angewiesen, die wir selbst nicht schaffen können und weitgehend nicht selbst geschaffen haben.

Es reicht mir nicht, die Missstände zu beklagen, das System zu kritisieren oder aber sich mit Forderungen zu begnügen. Klar, müssten die Superreichen besteuert werden, Reichtum limitiert werden genauso wie der Mitweltverbrauch. Nur, wie kommen dahin?

Es ist bedeutsam, etwas zur ihrer Verwirklichung beizutragen. Das geschieht nicht durch die große Tat, sondern durch die Gesten, die Liebe, die Erkenntnis, das Vorlesen für Kinder, das Engagement für die Gestrauchelten, das Spenden und Geben, aber auch durch die Kunst, die Musik, die Gartengruppe, alles hat Bedeutung und repräsentiert menschliche Werte.

Die Wirksamkeit eigenen Handelns kann jeder Mensch im Negativen deutlicher erkennen. Die sozialen Beziehungen, oder das ökologische Gleichgewicht zu zerstören, kann sich jeder Mensch sofort vorstellen. Der Aufbau, Erhalt und die Pflege guter Mitweltbeziehungen hingegen, erscheint eher mühsam und zeitaufwändig, doch das ist unser Beitrag zum Gelingen. Weiter in Möglichkeiten zu denken, Zuversichtlich zu handeln und zum Mitgeschöpf zu werden.

Unser Tun zeugt von unserer Haltung. Wir können wissen, dass Tourismus die Lage der Menschen vor Ort verschlimmert, keinesfalls verbessert. Dagegen könnte Reisen helfen, die wirkliche Begegnung, der persönlichen Austausch. Auch kann, wenn es schon Übersee sein muss, auch die wirkliche Kompensation helfen, das tätige Mitgefühl, die Unterstützung. Unser Verhalten zeugt von unseren Werten, jeder Kauf und insbesondere jede Investition kann die Fairness und die Nachhaltigkeit fördern oder eben das Gegenteil bewirken. Es ist möglich ganz ohne die Lebensmittel der großen Big Five auszukommen, gerade, wenn mensch über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügt. Niemand ist gezwungen, Kreuzfahrtreisen zu unternehmen oder sich am Kapitalmarkt mit nicht nachhaltigen Investments zu bereichern. Wir verbünden uns mit dem Falschen, wenn es uns egal ist, ob wir ökologisch, regional konsumieren, uns für die Lieferkette interessieren oder eben nicht Es ist möglich für die Erfolgreichen, aus dem Statuswettbewerb auszusteigen, das Streben nach weiterem Vermögen und Einkommen zu begrenzen. Es ist für das eigene gute Leben auch auch eine Voraussetzung.

Nochmal: Reichtum, besonders Superreichtum gründet sich auf Ausbeutung, Skrupellosigkeit, Gelegenheit oder pures Glück. Reichtum erzeugt immer Armut, ist geradezu darauf angewiesen. Auch kleines Vermögen beruht nur zu einem Bruchteil auf unseren Leistungen, noch weniger auf Leistungen für die Gesellschaft. Je höher das Vermögen, desto mehr haben andere dazu beigetragen. Meistens ungewollt, erzwungen, durch Ausverkauf der Heimat und Zukunft, durch schwere und gefährliche Arbeit, durch Erkrankung und geringe Lebenserwartung.

Deshalb führt der Weg zum guten Leben immer über Großzügigkeit, Seelengröße, Dankbarkeit, Engagement für Andere, also sich als Mitgeschöpf auf diesem Planeten zu definieren. Wer im Hofstaat der Weltgesellschaft lebt, kann sich für eine bessere Welt einsetzen und wird sein Unbehagen reduzieren.

Siegmund Freud wies auf den Mangel an Liebe und wenn man so will, Liebesmöglichkeiten, hin. Das Schüren von Aggression im Kapitalismus deutete er schon an, wagte aber nicht den Sprung von der Psychoanalyse zur Sozialkritik: „Die Schicksalsfrage der Menschenart besteht darin, ob es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, die Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb zu überwinden.“
„Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, dass sie es mit deren Hilfe jetzt leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung.“(– Teil VII, S. 270)

Für die, die Handeln können gibt es keinen Aufschub, denn alles Wissen über die Zusammenhänge liegt seit Langem vor. Keiner hat nichts gewusst. Niemand hat es verdient, anderen das Leben schwer zu machen und die Lebensgrundlagen zu ruinieren. Die Legitimation des Marktes reicht dazu sowieso nichts aus. Die Happy few stehen in der Verantwortung ein neues Spiel zu beginnen, in dem wir alle Teil einer mitweltgerechten Zukunft werden.

Das eigene Handeln wird blockiert durch verschiedene Phänomene. Zum Beispiel, wenn Missstände für normal, notwenig oder „war schon immer so“ bezeichnet werden.
Wesentliche Missstände waren schon immer objektiv falsch und verwerflich. So ist Sklaverei nicht relativierend oder wie auch immer zu rechtfertigen. Es widerstrebt der Menschenwürde. Gleiches gilt für die Nicht-Gleichberechtigung von Frauen, die Kinderarbeit, den Rassismus, den Klassismus oder den Anitsemistismus. Genauso wie der Antihumanismus ist auch die Ausbeutung der übrigen Natur absolut verwerflich. Diese universellen Vorstellungen existierten schon immer, nur wurden sie wenig befolgt.
Die wichtigste Universalie ist die Menschenwürde, daneben auch der respektvolle Umgang mit Mitgeschöpfen in der Biosphäre, die Mitweltgerechtigkeit und somit die Vorsorge für kommende Generationen.


Wo ist der größte Hebel?
Die größte Veränderung können immer die bewirken, die Verfügungsrechte haben, die Vermögenden, alle, die über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital verfügen. In den Wohlstandsbereichen werden die bisherigen Übel verursacht und können deshalb auch hier abgestellt werden. Dazu müssen wir auch unsere Kultur grundsätzlich transformieren.
Es liegen wirklich alle Lösungen herum oder stehen in den Regalen. Das gegenwärtige Ökonomie und Gesellschaftssystem wirkt obszön und menschenunwürdig, führt uns gemeinsam in tiefere Krisen. Es müsste das Kapital neutralisiert werden, es müssten Reichtumsgrenzen eingeführt werden, es müssten Verbote für Vergiftung, Zerstörung und Verwüstung her. Die Würde des Menschen überall auf diesem Planeten müsste garantiert werden, somit zahlreiche Ausbeutungsformen untersagt werden. es gibt dafür Lösungen wie Besteuerung, Limitierung, Gesetze, Steuerungsmittel. Es gibt auch effektive Formen der Transformation sozialer Systeme. Doch bei allem bleibt die Frage, wie setzen wir die Lösungen in Gang? Es ist nicht nur so, dass die Systeme uns prägen, sondern wir als Menschen gestalten auch die Systeme. Es ist der neueste Schrei der Gesellschaftskritiken, die individuelle Verantwortung für Missstände vollends zu negieren. Wir sind dann fremdgesteuerte Wesen, die keinerlei Gestaltungsspielraum haben. Die Unterlegenen selbst können und haben schon immer auch Umstürze und Veränderungen bewirkt. Also können wir wohl eher von einer Wechselwirkung sprechen.

Wie kann mensch die wichtigenVeränderungen realisieren? Sicher nicht mit Besserwissen und Schlechtertun. Es ist eine Illusion, reine Lehren praktizieren zu können, wir brauchen alle wirksamen Ansätze für die Veränderung. Dazu müssen auch Koalitionen mit „Halbteufeln“ eingegangen werden oder Umwege gegangen werden. Idealismus hilft wenig, wenn er in die Niederlage führt. Der scheiternde Biohof hat nicht nur das Scheitern der Beteiligten zur Folge. Das richtige Bewusstsein muss zum Handeln führen, ansonsten bleibt es folgenlose Betroffenheit. Alle Sublaternen, Verdammten, Ausgebeuteten, Diskriminierten müssen sich versammeln, Alternativen entwickeln, Protestformen nutzen und solidarisch handeln.
Je mehr der Mensch selbst über Kapital und Kompetenzen verfügt kann er diesen Prozess wirksam unterstützen.

Sicher kommt die Verbesserung nicht durch Warten auf die große Revolution und den Systemsturz. Es reicht auch nicht, die richtige Überzeugung, sondern es müssen auch effektive Wege kreiert werden, Koalitionen gebildet, paradoxe Interventionen gewählt und Kompromisse gemacht werden. Dabei ist es wichtig, immer auf dem Weg zu bleiben und sich nicht von Nebenthemen ablenken lassen (Phänomen der Holzzahnbürste). Wenns schon kritisiert wird, dann nach oben und nicht nach unten. Was nützt es, recht zu haben, wenn wir nichts bessern? Es gilt sich mit dem Wichtigem zu verbinden, wirkliche Erfindungen und Innovationen voranzutreiben und diverse Innovation auch sozialer Art zu entwickeln. Eine Veränderung geschieht unmittelbar, in dem der Mensch eine Entscheidung trifft, beginnt, anders zu reden, zu handeln, zu unterlassen oder zu verstärken. Aus der Organisationsentwicklung und Transformationswissenschaft sind diese wirksamen Interventionen bekannt und erprobt, sie eröffnen jedem Menschen mehr Möglichkeiten. Mit Soziokratie ist es auch möglich, schnell, gemeinsam zu entscheiden, alle mit einzubeziehen. Partizipative Methoden ergeben mehr Erkenntnisse, bessere und tragfähige Entscheidungen auch in großer Ungewissheit.


All die verwerflichen Phänomen sind weniger durch moralische Bedenken oder ethische Überzeugung abgeschafft worden, sondern häufig dadurch, dass sie sich nicht mehr lohnten, zu beschwerlich wurden. Selbst Sklaven haben sich teilweise erfolgreich entzogen, gewehrt, Veränderung mit bewirkt. Proteste, Klagen, Einsprüche, Verweigerung, Streik, Nicht-Mitmachen, Zurückhaltung von Wissen und Widerstände verteuern die bisherige Praxis und sind allein deshalb so wichtig und wirksam.

Ende des Surplus
Heute ist neben allen Widerstandsformen ein sehr bedeutender Faktor hinzugekommen, der überall auf der Welt gilt und dem sich mensch nirgendwo entziehen kann. Die menschlichen Lebensgrundlagen sind bedroht und dadurch verschieben sich indirekt auch die Preisrelationen.
Monokulturen gehen ein, Plantagierung kommt an ihr Ende wie die Massenfertigung. Die Ausbeutung der Arbeitenden wird durch Gewerkschaftsarbeit und Proteste begrenzt.
Der Mensch ist immer mehr, was er tut, als das, was er sagt. Spürbare Vorteile lassen Ideologien und Denkblockaden bröseln. Die Wahrheit holt jeden Menschen ein und dann kommt es zu heilsamen Pragmatismus. Nur diese Veränderungen müssen aktiv mitgestaltet werden. Es kann deshalb vom Ende des Surplus geredet werden, die Mitwelt reagiert resonant auf die Zerstörungsprozesse, die Ausbeutung kommt an ihre Grenzen und zwar umso schneller, je mehr sich für die Mitwelt engagieren und die Unterlegenen sich verbünden.

Wir müssen wohl auch mit Menschen im Gespräch bleiben, die in ihrer Entourage verwirrt werden oder aus Bitterkeit sich abwenden vom Common Sense. Menschen richten sich sehr stark nach ihrem Umfeld aus in ihrem Verhalten. Die Marketinglehre hat das wohl am besten begriffen und die Theorien von Pierre Bourdieu ausgeweidet für die Manipulationsarbeit. Wenn es zu konservierten, geschlossenen Milieus kommt, wird eine Veränderung schwieriger. Insofern bleibt es bedeutsam, die wirren Verschwörer zu entzaubern, mit Geschick die Beziehung zu Auswanderern aus dem Bereich der Wahrheit und Menschlichkeit zu halten, sie mit existenziellen Fragen und Nachfragen zu erstaunen. Der Mensch kann sich nur mit seinem Umfeld verändern oder aussteigen. Die Konkurrenz- und Demütigungsmaschinerie drängt zu viele Menschen aus der Anerkennung und Würde. Die Mehrung der würdelosen Orte in der modernen Gesellschaft, die Nicht- Anerkennung und Ausbeutung gefährden das Zusammenleben. Und führen häufig zu wirrem, verzweifelten Protest oder aber (wie noch häufiger) zur Selbstbeschuldigung und Depression.

Hier bleibt es wichtig, Brücken zu bauen, für überraschende Kooperationen zu werben und Möglichkeiten zu schaffen. Zumindest die Wähler reaktionärer Parteien sind zumTeil mit dem ruchlosen Protest in die falsche Richtung unterwegs. Sie votieren gegen ihre eigenen Interessen und sind deshalb wieder zurück zu gewinnen. Die nihilistischen Wahrheitsverdreher und Angstmacher haben nur ein überschaubares Repertoire und gar keine attraktiven Angebote. Niemand ist mit der Ausweisung von Migranten gedient, niemand kann von Nationalismus leben, die wirtschaftliche Situation verschlimmert sich bei der Rückkehr ins Fossile, eine identitäre Gesellschaft verfügt über weniger Wissen, Kreativität und Lebensfreude.

Also sollten die Wege der Veränderung erleichtert werden. Es ist an nachhaltigen Alternativen zu den zerstörerischen Praktiken gearbeitet werden. Fleischersatz und vegetarische Kochkurse, Fliegen mit Biokraftstoffen, andere Formen des Reisens, Vorschriften zur Reparatur, damit nachhaltigere Produkte angeboten werden. Gesündere Ernährung in den Schulen erlernen und die schädlichen Angebote verbieten oder zumindest verteuern. Wichtige Bereiche aus der Kapitalvermehrungsmaschine herausnehmen und in Form der öffentlichen Infrastruktur und er Commons organisieren. Kooperationen gründen und das Kapital neutralsieren. Es könnten Kunst, Musik und Theater aufblühen, wenn es freie, bedingungslose Förderungen gibt.

Wer sich der Zukunft ausrichtet, hat weniger zu leiden und kann selbst Geschäftsmodelle kreieren, kann Strukturen gestalten. Die frühzeitige Verbindung mit der Zukunft ermöglicht große Chancen, statt sich im Widerstand gegen das Unvermeidliche zu verlieren.

Also kann der Mensch sie alle ihren Leidenschaften in der Kunst, im Handwerk, der Musik, der Forschung frönen und dadurch sein Leben und das aller anderen bereichern. Wer sich für die Mitwelt engagiert, erntet Freundschaft und Liebe, taucht ein in die Allverbundenheit (ubuntu).

Auch kann jeder in sicherer Existenz Lebende sich für das entscheiden, was er für richtig hält. Wenn man für Tempolimit auf den Straßen eintritt, warum beginnt man nicht damit? Niemand muss hinter sein Erkenntnis zurücktreten und so tun, als wenn er nicht wüsste, welche Auswirkungen ein Verhalten hat. Man kann sofort anders essen, konsumieren, reisen, investieren und damit den Grundgedanken des kategorischen Imperativs verwirklichen. Die Würde des Menschen ist unantastbar steht im Grundgesetz Art. 1. Warum sollte man sich nicht daran halten und für würdevolle Arbeitsverhältnisse eintreten, statt sie durch den verzehrenden Konsum oder das bitterböse Investment zu gefährden?
Jeder Mensch kann sich engagieren für stärkere Besteuerung der Vermögenden, für eine auskömmliche Infrastruktur in Form von Bildung, Mobilität, Kanalisation, bezahlbarem Wohnen.
Setzen sie sich für Gleichheit, die strenge Regelung einer kleingliedrigen Marktwirtschaft ein, klagen sie gegen die Machtkartelle und stärken sie die Initiativen für mehr Commons und Gemeinwirtschaft.
Setzen wir uns für die Demokratieausweitung auf alle Bereiche und Ebenen der Gesellschaft, insbesondere in der Wirtschaft, ein. Gründen sie solidarische Unternehmen, werden sie Sozialunternehmerin zum Beispiel für Obdachlose. Schreiben sie Gedichte und Protestsongs.

Begrenzungen und Maße fördern die Kreativität, Maßlosigkeit führt ins Chaos. Ohne Regeln wird Fußball zu Rugby und selbst das bedarf der Regeln. Jeder Mensch sollte Muße als Ressource genießen, also seine Eigenzeit bestimmen können. Dazu braucht es ein stabiles Grundeinkommen und es wäre auch genug vorhanden für ein Grundvermögen für alle.

Setzen wir uns ein für Vielfalt und aktive Toleranz, so dass alle so lieben und leben können, wie sie es als richtig empfinden. Setzen wir uns für die Rechte und den Schutz der Frauen ein, verstärkten wir ihre Position und wir stärken die ganze Gesellschaft. Es ist Gleichheit in allen Bereichen anzustreben. Bauen wir Statusbereiche ab, versuchen wir in andere Milieus einzutauchen und uns nicht nur mit gleich Gesinnten oder gar gleich Privilegierten zu umgeben.

Doch all dieses und noch viel mehr kann nicht durch eine große Transformation erreicht werden. Es ist die mühsame Aufgabe in einem guten Leben. Das Glück ist nicht an Tugend gebunden, wie noch Aristoteles behauptete. Das gute Leben wird aber wahrscheinlicher mit dem tugendhaften Wirken, wie auch alles andere im Leben nicht bewusst, gezielt und sicher angestrebt werden kann, sondern immer nur die Wahrscheinlichkeit senkt oder hebt, das eine Folge eintritt. Als Privilegierte der Weltgesellschaft haben wir Glück gehabt, in der richtigen Zeit und im richtigen Land geboren zu sein. Wir haben auch Glück gehabt, wenn uns Förderer über den Weg gelaufen sind, die uns aus Tiefen empor geholfen haben. Das Wenigste haben wir jeweils selbst dazu beigetragen und das gilt eben auch im negativen Fall. Wenn wir also im unvorstellbaren Reich der Möglichkeiten angekommen sind, dann wäre Dankbarkeit angesagt, statt Missgunst, Eifersucht und Neid. Dann wäre es auch besser, den Süchten nach immer mehr vom Gleichen zu entkommen. Wir können Spuren der Freundlichkeit durch die Landschaft legen, wir können unterstützen, helfen, zuhören und begleiten, wir können unsere gesammelten Fähigkeiten für andere nutzen. Jeder Mensch kennt doch das Glücksempfinden, wenn einem Solidarität entgegen gebracht wird, wenn wir anderen helfen, den gerade der Keller voll gelaufen ist. Wir können uns weiter steigern zu wahren Mitgeschöpfen, die ihre Werteskala hochschieben und sich als Teil der Mitwelt verstehen (Rutger Bregman). Wer gegen die Welt agiert, immer mehr haben, aneignen und ausbeuten will, der senkt zumindest seine Chancen auf ein gutes Leben. Es reicht aber auch nicht, die krisenhafte Lage schlau zu erklären und zynisch und fatalistisch alles Engagement zu desavouieren. Alle Errungenschaften sind mühsam erstritten worden und werden weiter erkämpft werden müssen.

Die Anregungen zur konkreten Veränderung der imperialen Lebensweise bitte ich wirklich als solche zu nehmen. Möchte nicht belehren, nur anregen. Auch, wenn die Besitzstandswahrer wollen ihre Ruhe nicht stören lassen wollen, es macht Sinn sie zu konfrontieren und Auswege aufzuzeigen.

Es erscheint mir zuweilen als sakrosant, die persönliche Verantwortung anzusprechen, es wird unangenehm, es gibt tausend Ausreden. Ja, es existiert kein Außen in der kapitalistischen Welt, die kapitalistische Gesellschaft hat uns geformt, wie jedes soziale Kontextsystem unsere Verhaltensweisen prägt, unsere Haltung beeinflusst. Wir sind relationale Wesen, die gar nicht autonom handeln können, sondern immer bezogen auf die Mitwelt, auf das Milieu. Aber alles auf das System zu schieben, würde uns in die Banalität des Bösen drängen. Auch die Strukturen sind von Menschen gestaltet worden, können also umgestaltet werden. Wollen wir angesichts der offensichtlichen Krisen wirklich gar nichts an unserem persönlichen Leben verändern? Die Wiederentdeckung des Wirkens für das Ganze, lässt uns Sinn im Absurden erkennen.
Es besteht das gute Leben im Wesentlichen darin, eigene Verantwortung zu übernehmen, insbesondere, wenn wir Entscheidungsspielräume haben. Das Engagement bringt uns wieder in einen Sinnzusammenhang zurück. Es ist ein Versuch des guten Lebens, in dem sich Sinn im Wirken für andere verwirklicht. Wir verbinden uns in mannigfacher und resonanter Weise mit der Welt, schöpfen dort Energie und Lebensfreude. „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ So möchte ich diesen Text aber nicht enden lassen, weil es nach großen Mühen und ewiger Last ausschaut. Ein würdiges Leben für alle erscheint erreichbar, wenn wir den Wohlstand neu definieren und uns auf Mitweltgerechtigkeit ausrichten. Es wäre eine Lebensweise, die uns in Verbindung mit Menschen und der nicht menschlichen Natur bringt, dass uns Muße und Leidenschaft ermöglicht. Wir sollten also etwas Wünschenswertes und Lebensbejahendes in die Welt bringen und andere Menschen ermöglichen, das auch tun zu können. Das gute Leben entwickelt sich um Flow, um Muße um Liebe, Lust und Leidenschaft, die jeder Mensch mit anderen zusammen entwickeln kann. Das gute Leben muss nicht in sozialen oder ökologische Projekten bestehen, es kann sich ausdrücken in Musik oder Kunst, Handwerk, sinnlicher Askese, Literatur, Goldschmieden, Erfindungen, Basteln, Spielen, Forschung, Kochen, Zuhören, Landbau u.v.m. Es geht um die Bereicherung der Welt und nicht um persönliche materielle Bereicherung. Dieses genussvolle Leben wäre jenseits der materiellen Anhäufung und Zerstörung möglich. Es besteht im weniger, anders und langsamer, im Wohlergehen für alle, in der gemeinsamen Lebensfreude. Das gute Leben besteht der Mehrung von Liebe und Erkenntnis, einem Leben, dass das Selbst überschreitet.





Zentrale Literatur zum Weiterdenken.


Gustav Bergmann: Radikale Zuversicht, Möglichkeiten einer Mitweltgesellschaft, München 2022
Rutger Bergman: Moralische Ambitionen, Reinbek 2024
Albert Camus: Der Mensch in der Revolte (1951), Reinbek. 1969; Die Pest (1947), Reinbek 1983;
Der Mythos von Sisyphos (1942), Reinbek 1995
Nancy Fraser: Der Allesfresser, wie der der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen verschlingt. 2023 Berlin
Sigmund Freud: Über das Unbehagen in der Kultur, Wien 1930
Daniel Loick: Die Überlegenheit der Unterlegenen, Berlin 2024
Jason Moore: Kapitalismus im Lebensnetz. Ökologie und die Akkumulation des Kapitals, Berlin 2020
Karl Polanyi: The Great Transformation (1944), Frankfurt 1985
Kieran Setiya: Das Leben ist hart. Wie Philosophie uns helfen kann, unseren Weg zu finden, München 2024
Simon Straupp: Stoffwechselpolitik, Berlin 2024


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